Vision Intersilva
VISION INTERSILVA 30 Jahre Nationalpark Sumava
Unser Vereinsmitglied Michael Held, Forstwissenschaftler, war von 1990 bis 2002 als stellvertretender Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald auch für die Zusammenarbeit mit dem Nationalpark Šumava zuständig. Er hat uns mit Zustimmung der Redaktion Nationalparkzeitung in Grafenau diesen Artikel, sowie das Interview mit dem Leiter des Nationalparks Šumava Pavel Hubeny, zur Verfügung gestellt. Die Fotos machte Štěpán Rosenkranz vom Nationalpark Šumava.
Der noch vor über 30 Jahren fast unüberwindbare „Eiserne Vorhang" ist mittlerweile fast vergessener Teil europäischer Geschichte.Heute verbindet die Natur die Menschen im Dreiländereck Tschechien,Deutschland und Österreich.Der Nationalpark Sumava entwickelt sich gemeinsam mit seinem Partner in Bayern zu einer Wildnis mitten in Europa.So wird nicht nur eine einzigartige Natur geschützt,sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Völkerverständigung geleistet.
Die Vltava/Moldau mäandert durch die weite Auenlandschaft (Foto:Štěpán Rosenkranz)
Vor über 30 Jahren lösten sich die politischen Machtblöcke im Osten und Westen auf, im Dezember 1989 fiel an der bayerisch - tschechischen Grenze der Eiserne Vorhang. Die tschechische Bevölkerung erhielt die langersehnte Freiheit zurück und angesichts sterbender Wälder im Erzgebirge wurde rasch die Forderung nach mehr Umweltschutz laut. Bereits 1990 etablierte sich das tschechische Umweltministerium, dessen Minister Bedrich Moldan die Gründung eines Nationalparks im Böhmerwald (Sumava) ein Herzensanliegen war. Jiri Janda als Bevollmächtigter des Umweltministeriums bereitete die Ausweisung fachlich vor und am 20.3.1991 wurde der Nationalpark Sumava mit Sitz in Vimperk per Rechtsverordnung ausgerufen. Mit 684 qkm ist er der grösste tschechische Nationalpark.
Die Vision „Intersilva" wurde somit Realität, bis dahin war es allerdings ein langer, steiniger Weg
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DER GROSSE STURM
In den Jahren 1868 und 1870 vernichteten Orkane große Teile des Böhmerwaldes. Rund 3 Millionen Kubikmeter Holz fielen Sturm und anschließendem Borkenkäferbefall zum Opfer. Zwei Jahrzehnte dauerten Aufarbeitung und Aufforstung. Der Böhmerwald veränderte so sein Antlitz grundlegend: die ursprünglichen, teils urwaldartigen Bergmischwälder wurden durch Anpflanzungen von Fichte ersetzt, die das düstere, melancholische Bild des Waldes bis heute prägen. Der berühmte Schriftsteller des Böhmerwaldes Karel Klostermann schreibt vom Verlust des rauschenden Böhmerwaldes und fordert ein Schutzgebiet für die verbliebenen Waldreste.
Im Jahre 1911 bringt der Parlamentsabgeordnete Lubos Jerabek erstmals einen Nationalpark im Böhmerwald ins Gespräch.Während des Zweiten Weltkriegs gab es dann bereits sehr konkrete Pläne für einen solchen Nationalpark im Böhmerwald. 1937 sandte die Reichsstelle für Naturschutz in Niederbayern einen detaillierten Kartenentwurf an das Reichsforstamt in Berlin. Das Gebiet sollte rund 1000 Quadratkilometer umfassen und die zentralen Teile des Böhmerwaldes schützen. In den Wirren der letzten Kriegsjahre ging das Projekt unter. 1963 wurde das Landschaftsschutzgebiet Sumava mit 1686 Quadratkilometern gegründet. Auf dem Dreisesselberg findet 1966 ein legendäres Treffen bayerischer, tschechischer und österreichischer Naturschützer statt. Das Projekt „Intersilva", ein Großschutzgebiet über drei Länder hinwegwird geboren. 1967 berichten tschechische Naturschützer vom Plan, die wertvollsten Teile des Landschaftsschutzgebietes als Nationalpark auszuweisen.
Die Aufbruchsstimmung des „Prager Frühlings" wird 1968 mit dem Einmarsch der Russen in die damalige Tschechoslowakei zunichte gemacht. Die Vision „Intersilva" wird damit zu Grabe getragen.
Den Fall des Eisernen Vorhangs nutzten zahlreiche Naturschützer Schutzgebietspläne umzusetzen. So gelang es dem deutschen Naturschutzpionier Michael Succow als stellvertretendem Umweltminister der DDR ein Netz von Nationalparken, Biosphärenreservaten und Naturparken in die Vereinbarung zur Wiedervereinigung Deutschlands einzubringen. Und der Pate des Nationalparks Bayerischer Wald, Hubert Weinzierl, langjähriger Vorsitzender des Bund Naturschutz Bayern, sah die Stunde von „Intersilva" gekommen. Er forderte die Vergrößerung des Nationalparks Bayersicher Wald Richtung Falkenstein (1997 realisiert) und die Gründung eines Nationalparks Sumava in Tschechien. Mit der Gründung des Nationalparks Sumava im Jahr 1991 wird die Vision „Intersilva" Realität.
SPIELBALL DER POLITIK
Von Anfang an bestimmten Differenzen um Größe der Naturzonen sowie die Intensität der Borkenkäferbekämpfung die Entwicklung des Nationalparks. Vor allem in den ersten 20 Jahren führten ständige Politikwechsel zu unterschiedlichem Nationalparkmanagement. Ein Memorandum der beiden Nationalparke Bayerischer Wald und Sumava vom August 1999, welches 2005 fortgeschrieben wurde legte als Ziel die Entwicklung beider Nationalparke im Einklang mit den Standards der internationalen Naturschutzorganisation IUCN fest. Bei der Unterzeichnung stürmten zwei Aktivisten der tschechischen Naturschutzorganisation HnutiDuhamit laufender Motorsäge die Versammlung, sprachen von Eitikettenschwindel und bevor die Polizei eingreifen konnte, waren sie wieder verschwunden.
Als der Jahrhundersturm Kyrill 2007 auch im Sumava zu riesigenWindwürfen führte, lässt der grüne Umweltminister Martin Bursik auf einem Viertel der Nationalparkfläche Zonen ohne Borkenkäferbekämpfung ausweisen,die jedoch nicht im Naturschutzgesetz definiert waren.Dies führte vor allem im Dreiländereck, wo diese Zonen bis direkt an die deutsche und österreichische Staatsgrenze reichten, zu massivem Protest. Das Land Österreich drohte mit Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe. 2011 gab es einen erneuten Politikwechsel. Umweltminister wurde der nationalparkkritische Tomas Chalupa. Die Borkenkäferbekämpfung wurde erheblich intensiviert, was wiederum die Aktivisten von HnutiDuha mit Baumbesetzungen auf den Plan rief. Aber auch die EU-Kommission, die IUCN sowie zahlreiche internationale Naturschutzverbände übten massive Kritik an Gesetzesentwürfen und am Management des Parks. Die Intensivierung der Borkenkäferbekämpfung, Trophäenjagd, Bautouristischer Einrichtungenoder Privatisierung von Staatseigentum sollten wieder ermöglicht werden.
Mit der Ernennung von Umweltminister Richard Brabec im Januar 2014 und der Ablösung des Nationalparkleiters Jiri Maanek durch Pavel Hubeny trat die erhoffte Wende im Prozess-Schutz ein. Eine Novellierung des Naturschutzgesetzestrat 2017 in Kraft, die u.a. festlegt,dass in den tschechischen Nationalparks dem Prozessschutz auf überwiegender Fläche Vorrang einzuräumen kist.2020 erfolgte dann eine neue Zonierung und auf 7000 Hektar an der Grenze zum NP Bayerischer Wald wurde zudem die Jagd auf den Rothirsch eingestellt.
DAS GRÜNE DACH
Das ehemalige Forsthaus Březnik/Pürstling im Lusental,Foto:Štěpán Rosenkranz
Früher standen bis zu 25 Häuser auf dieser Hochebene bei Gsenget,Foto:Štěpán Rosenkranz
Weite Wälder,geheimnisvolleMoore,stille Eiszeitseen und klare Bergbäche - streng geschützt beiderseits der Grenzen unter dem Label „das Grüne Dach Europas".Mit920 qkm Fläche stellt es das grösste Waldschutzgebiet in Mitteleuropa dar.Der 684 qkm grosseNationalpark Sumava ist eingebettet in ein grossräumiges Landschaftsschutzgebiet und Biosphärenresevat,es grenzt direkt an den National- und Naturpark Bayerischer Wald sowie an ein 9000 Hektar grosses Natura 2000 Gebiet in Österreich.
Das raue Klima und die seit Jahrhunderten auf dem Bergkamm verlaufende Landesgrenze bedingt eine dünne Besiedlung;verstärkt wird dies durch die Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg.Die zahlreichen Dörfer längs der Grenze wurden dem Erdboden gleichgemacht und das Gebiet zur Sperrzone erklärt.Auf den ehemals landwirtschaftlichen Fluren entwickelte sich eine parkähnliche Landschaft mit altem Baumbestand der ehemaligen Hofstellen ,Niedermooren,Magerrasen und Hochstaudenfluren.Auf einigen Flächen hat bereits die Sukzession Richtung Wald eingesetzt.Grosse Bereiche werden heute wieder mit Rindern und Schafen beweidet.Zu den Kostbarkeiten im Nationalpark zählen die Hochmoore,auch Filze genannt.Sie sind meist mit Latschen bewachsen und kleinen Moorseen durchsetzt.Hier finden sich Raritäten wie Zwergbirke,Sonnentau oder Birkenzeisig.Aktuell werden rd. 2000 Hektarentwässerter Hoch- und Niedermoore im Rahmen eines EU-Projektes renaturiert.Fischotter und Biber nutzen die zahlreichen Bäche und Seen.Und in die Moldau -Auen ,wo der Schreiadler seine Kreise zieht,sind Seeadler und Kranich zurückgekehrt.In den schier unendlichen Wäldern hat sich durch Wiederansiedlung eine weitgehend stabile Luchspopulation etabliert , der Wolf ist von selbst wieder zurückgekehrt. Auer- und v.a. Haselhuhn kommen häufig,das Birkhuhn nur noch in Relikten vor.Eine Besonderheit ist eine kleine Elchpopulation am Moldaustausee.
BELIEBTES ERHOLUNGSGEBIET
Der Böhmerwald mit dem Nationalpark im Zentrum ist nach dem Riesengebirge die beliebteste Urlaubsdestination in Tschechien.Insbes. die Prager suchen am Wochenende und in der Urlaubszeit die Stille dieser Region.Und nicht wenige von Ihnen haben sich dauerhaft in dieser Idylle niedergelassen.Rund 2 Millionen Besucher zählt der Park jährlich.Ein weitläufiges Rad-,Wander- und Loipennetz lädt zum Naturerleben ein.Besonders beliebt sind Kanutouren auf Moldau oder Ottawa. Zahlreiche dezentrale Infostellen und Lehrpfade ergänzen das Angebot.An einigen Stellen wie auf der Moldau scheint die Kapazitätsgrenze für naturschonende Erholung bereits errreicht.
Über 100 Jahre reichen die Bemühungen um einen wirksamen Schutz der einzigartigen Natur im Böhmerwald zurück.Mit der Realisierung des „Intersilva"-Projektesist es nun gelungen über 1000 qkm wertvollster Natur über drei Länder hinweg als europäisches Naturerbe zu sichern.Der Nationalpark Sumava trägt hierzu wesentlich bei.
Der noch vor über 30 Jahren fast unüberwindbare Eiserne Vorhang ist mittlerweile fast vergessene europäische Geschichte.Heute verbindet die Natur die Menschen im Dreiländereck Tschechien,Deutschland,Österreich.
Grenzenlose Wildnis
Eine Vision wird Realität
Der Nationalpark Sumava feiert dieses Jahr sein 30 -jähriges Jubiläum.Aus diesem Anlass hat unser Autor Michael Held dessen Leiter Pavel Hubeny zu Erfolgen und Niederlagen,Perspektiven und Problemen befragt.
Pavel Hubeny leitet seit sechs Jahren den Nationalpark Šumava.Foto:Štěpan Rosenkranz
Zeitschrift Nationalpark (NPZ ). In den 30 Jahren seit Bestehen des Parks sind Sie der 10. Leiter, mit 6 Jahren Dienstzeit schon einer der ältesten.Was war in den letzten 6 Jahren für Sie der wichtigste Meilenstein?
Hubeny. Ohne Zweifel die Novellierung des Naturschutzgesetzes 2017.Denn damit mussten alle tschechischenNationalparksneue Managementpläne samt Zonierung aufstellen,u.a. mit dem Ziel,auf überwiegender Fläche natürliche Prozesse zuzulassen.Und eine Änderung der Zonierung kann erst nach 15 Jahren erfolgen, um so Kontinuität sicherzustellen und den Einfluss der Poltik zu reduzieren.
NPZ. Nach der 2020 in Kraft getretenen Zonierung sind aktuell 27,7 % Naturzone ohne Eingriffe,24,6 % naturnahe Zone mit minimalen Eingriffen und 46,6 % Pflegezone.Was bedeutet dies konkret?
Hubeny. Minimale Eingriffe in der naturnahen Zone haben das Ziel,in jüngeren Wäldern Strukturvielfalt zu schaffen,ältere Wälder bleiben eingriffsfrei.Massnahmen zur Borkenkäferbekämpfung sind nach dem Forstgesetz möglich,aber nicht vorgeschrieben - das verschafft uns Spielraum. In der Pflegezone geht es darum,die fichtenbetonten Wälder in Mischbestände umzubauen,vorrangig im Wege der Naturverjüngung,aber auch Pflanzung von Tanne und Ahorn sind möglich
NPZ. Gibt es einen konkreten Zeitplan,bis wann die internationalen Vorgaben der IUCN von 75 % der Fläche für den Prozessschutz erreicht sein müssen?
Hubeny. Ja,im Jahr 2060 wird dieses Ziel erreicht sein;das bedeutet einen Übergangszeitraum von 40 Jahren.
NPZ. Der Böhmerwald ist zusammen mit dem Riesengebirge die wichtigste Urlaubsdestination in Tschechien.Erhöht dies auch die Akzeptanz des Parks?
Hubeny. Eine erst jüngst veröffentlichte Studie zeigt,dass die Akzeptanz des Nationalparks durchaus zufriedenstellend ist.Allerdings steht bei den Touristen erstmal die Landschaft des Böhmerwaldes im Vordergrund,dann erst kommt der Nationalpark.Im Bayerischen Wald ist es genau umgekehrt,da ist der Nationalpark wesentlich für die Urlaubsentscheidung.
NPZ. Gibt es ähnlich wie im Bayerischen Wald Probleme mit zuvielBesuchern,die dann möglicherweise die Naturschutzziele gefährden?
Hubeny. Unseren Park besuchen gut 2 Millionen Besucher pro Jahr.Probleme gibt es aktuell kaum.In den Hochlagen,dem Lebensraum des Auerhuhns,kann erhöhtes Besucheraufkommen zu Konflikten führen.Daher wollen wir dort ein Kerngebiet mit Wegegebot einrichten.Unser aktueller Vorschlag sieht vor ,rund 22 % der Nationalparkfläche als Kerngebiet auszuweisen.Dies muss allerdings noch von verschiedenen Gremien wie dem Nationalparkbeirat genehmigt werden.
NPZ. Seit Gründung des Nationalparks gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der bayerischen Seite.Unter Ihrer Leitung wurde dies noch erheblich intensiviert,beide Parke sind als „ Transboundary Parks „ zertifiziert.Wo liegen die künftigen Schwerpunkte?
Hubeny. Wie bisher in einer Harmonisierung unserer Naturschutzziele,Stichwort „Grenzenlos wild".Auch in der Forschung,imMonitoring arbeiten wir nach einheitlichen Standards,die eine Vergleichbarkeit ermöglichen.Derzeit erfassen wir Flora und Funga des Böhmerwaldes über drei Länder hinweg.Auch ein grosses,EU - finanziertes Renaturierungsprojekt für Moore und Gewässer unter dem Namen „ Life formires" läuft derzeit.Und ein abgestimmtes Erscheinungsbild unserer Parke steht auf der Agenda.
NPZ. Der Nationalpark Bayerischer Wald beging letztes Jahr sein 50 -jähriges Jubiläum.Wo sehen Sie den Nationalpark Sumava an seinem 50. Geburtstag?
Hubeny. Die naturnahe Zone ist bis dahin in die Naturzone integriert.Das bedeutet,dassdie Naturzonen beider Parke über 50000 Hektar betragen, 50000 Hektar Wildnis inmitten Europas. Und ich wünsche mir,dass Einheimische wie Besucher stolz auf ihren Nationalpark sind.
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