Natur-Juwel

Vom Niemandsland zum Natur-Juwel

Andreas Nigl 30.03.2021 | Stand 29.03.2021, 23:26 Uhr

210329-2319-29-87139193-np-sumava-bildet-heute-mit-dem-np-bayerischer-wald-eine-wildnis-tom-s-camra_-_Kopie.jpg

Der Nationalpark Šumava ist der größte seiner Art in Tschechien. Neben seiner Funktion als Rückzugsort für viele verschiedene Tierarten ist er auch ein beliebter Anlaufpunkt für Touristen. -Foto: Tomáš Camra

Der Nationalpark Šumava, der am 20. März 1991 per Verordnung der Regierung gegründet wurde, ist eines der Juwelen der Tschechischen Republik, daran besteht kein Zweifel", wird Tschechiens Umweltminister Richard Brabec anlässlich des Geburtstags zitiert. "Und 30 Jahre seines Bestehens zeigen, dass wir die Werte von Schutzgebieten in der Tschechischen Republik schätzen. Und, dass wir in der Lage sind, die Bedürfnisse des modernen Naturschutzes zu erfüllen, also Raum für natürliche Prozesse zu schaffen, ohne den Park für die Öffentlichkeit zu schließen."
Nicht zuletzt deshalb habe man 2017 im Natur- und Landschaftsschutzgesetz neue Regeln für Nationalparks festgelegt. Dank derer wurde eine neue Nationalparkzonierung geschaffen, die den Zielen des Schutzes und des Zustands der Ökosysteme entspreche und klare Regeln für die Entwicklung der Gemeinden und den Schutz einzelner Teile des Gebiets für lange Zeit festlege. Umweltminister Brabec weiter: "Wichtig ist, dass sich Vertreter von Naturschützern, die überwiegende Mehrheit der Einheimischen und der Geschäftsleute darauf einigen konnten."

 

210329-2319-29-87143035-absperrungen-wurden-in-den-jahren-1990-1991-entfernt-archiv-npv-sumava_-_Kopie.jpg

Zwischen 1990 und 1991 wurden schließlich die Grenzbefestigungen abgebaut. -Fotos: Nationalparkverwaltung Šumava

• Konflikte, Kämpfe und Siege der Natur:
Lange Zeit war es so, dass die Direktoren des Parks schneller wechselten, als die Jahreszeiten vorübergingen, wie mancher Spötter anmerkte. Oft entschied die große Politik in Prag über den Leiter der Parkverwaltung. Und weil sich Tschechiens Politiksystem in den letzten Jahren nicht gerade als stabil herausstellte, war auch der mögliche Rückhalt für einen Nationalparkchef schnell wieder dahin. Jiří Mánek war beispielsweise nur von 2012 bis 2014 im Amt, dessen Vorgänger Jan Strasky sogar nur von 2011 bis 2012.

 

210329-2320-29-87143036-touristen-an-der-grenze-anfangs-der-90_-_Kopie.jpg

In den 1990er Jahren kamen die ersten tschechischen Wanderer bis zur bayerischen Grenze. Mittlerweile ist der Grenzübertritt alltäglich.

Einer, der sozusagen schon längere Zeit positiv aus dieser Reihe tanzt, ist der aktuelle Parkleiter Pavel Hubený. Der 57-Jährige hat diese Position offiziell seit 2015 inne. Nach außen hin ausgleichend, aber hinter den Kulissen - wenn es sein muss - durchaus bestimmt, wird diesem auch ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Pendant auf bayerischer Seite, Franz Leibl (seit 2011 im Amt), nachgesagt. Betrachtet man die grenzüberschreitenden Projekte, die beide in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben, schlägt sich diese Freundschaft auch in deren Anzahl und Intensivität nieder.
• Viel Lob vom bayerischen Nachbarn:
"Mit der Berufung von Pavel Hubený zum Leiter des Nationalparks Šumava vor mehr als fünf Jahren eröffneten sich viele neue Perspektiven für ein gemeinsames Parkmanagement und eine gemeinsame Nationalparkentwicklung. Diese Chance haben wir erkannt und mit Leben und Inhalten gefüllt," sagt dann auch Franz Leibl, wird er auf das Miteinander mit den tschechischen Kollegen angesprochen.
Als grenzüberschreitendes Großschutzgebiet seien die beiden Nationalparks im Jahr 2020 bereits zum dritten Mal nach 2009 und 2015 von der Europarc-Federation als Transboundary-Parks zertifiziert worden. "Unsere Zusammenarbeit wird im internationalen Rahmen der Großschutzgebiete als vorbildhaft gesehen."
Leibl wünscht sich, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Die Zusammenarbeit könne er sich nicht besser vorstellen. Es sei ein intensives Absprechen von Maßnahmen, die der jeweilige Park entwickle, "ein wunderbares Miteinander als Kollegen und eine Freundschaft auf persönlicher Ebene." Wenn sich die beiden Parks so angleichen, wie es sich im Augenblick abzeichne, dann entstünden im Herzen Mitteleuropas zwei Großschutzgebiete, die letztlich eins sind, was das Management, die Philosophie und die gemeinsame Natur anbelangt. "Das ist einmalig."
• Kein anderer Park wurde derartig politisiert:
Laut Hubený habe der Nationalpark Šumava in den 30 Jahren einen wirklich langen Weg zurückgelegt. Es seien drei Jahrzehnte voll mit Wendungen, Konflikten, Kämpfen, aber auch Freuden, erstaunlichen Entdeckungen und letztlich dem Sieg der Natur gewesen. "Es waren 30 Jahre, die man bestimmt nicht mit dem Wort Langeweile beschreiben kann".
Der Nationalpark Šumava wecke Leidenschaften bei der Bevölkerung, Besuchern, Experten und insbesondere Politikern. Hubený sagt aber auch: Kein anderer Nationalpark in der Tschechischen Republik sei so politisiert worden wie der im Böhmerwald.
Hubenýs Aussage untermauert die Tatsache, dass sich mittlerweile zehn Direktoren bei der Leitung des Nationalparks Šumava abgewechselt haben. Beim zwanzig Jahre älteren Nationalpark Bayerischer Wald sind es mit Franz Leibl bis dato lediglich derer vier.
Kontinuität sieht also anders aus, bedeutet jeder Direktorwechsel normalerweise eine andere Herangehensweise beim Naturschutz, eine neue Sicht des sich nicht Einmischens in die Natur. Die Zusammenarbeit mit der Region, den Kommunen und dem benachbarten Nationalpark Bayerischer Wald wurde so im Laufe der Zeit immer wieder abrupt geändert. Oder musste nach dem Diktum der gerade regierenden Parteien in Prag geändert werden. Wertvolles Vertrauen wurde so verspielt. Vertrauen, das danach mühevoll wieder aufgebaut werden musste. Wendungen um 180 Grad bezüglich des Schutzes bestimmter Gebiete waren nicht selten. Wo gestern noch ein strenges Betretungsverbot herrschte, konnten ein paar Tage später die Motorsägen und Harvester wüten. Richtig Ruhe kehrte erst mit dem Amtsantritt Hubenýs ein.
Der schnelle Verschleiß seiner Vorgänger ist wohl mit der Grund dafür, dass der tschechische Nationalpark in der Ausweisung der Naturzonen höchster Kategorie - prozentual auf die Gesamtfläche gesehen - den Bayern gewaltig hinterherhinkt.
• Verjüngung funktioniert auch ohne menschliche Eingriffe:
"Nichts davon konnte aber die Kraft der Natur überschatten, die uns auf dem Gebiet des Nationalparks Šumava zeigt, was sie ohne Einfluss der Menschen leisten kann", schwärmt Hubený. Ein Musterbeispiel sei die Erneuerung der Wälder im Nationalpark Šumava. Ein Teil der Öffentlichkeit, aber auch einige Fachleute, seien anfangs der Meinung gewesen, dass sich der Wald nach dem Borkenkäferbefall in der Region bei Březník/Pürstling in den 1990er Jahren nicht verjüngen würde. Ähnliche Befürchtungen seien auch nach dem Orkan Kyrill im Jahr 2007 aufgetreten. Doch die Natur habe bewiesen, dass dem nicht so ist.
Dank der Ausweisung Tausender Hektar sogenannter Naturzonen ist die Rückkehr ausgestorbener Tier-, Pilz- und Pflanzenarten zu beobachten. Der Parkleiter nennt den Luchs oder den Habichtskauz. Der Böhmerwald sei zudem wahrscheinlich der einzige Ort in Mittel- und Westeuropa außerhalb der Alpen, an dem es eine lebensfähige Population des Auerwilds gebe. Und auch das vom Aussterben bedrohte Birkhuhn und der Wanderfalke hätten ein Refugium gefunden. Der europäische Biber, der Wolf und der Kranich kamen auch zurück.
• Sumpf-Fetthenne und der Böhmische Enzian:
Aber nicht nur die Fauna, auch die Flora habe von der Einrichtung des Schutzgebietes profitiert. Dank gezielter Maßnahmen konnten Pflanzenarten wie die Sumpf-Fetthenne gerettet und wertvolle Lebensräume für Šumava-Juwelen wie den Pannonischen Enzian und den Böhmischen Enzian erhalten werden, sagt Martin Starý, stellvertretender Direktor der Nationalparkverwaltung Šumava.
Seit den 1990er Jahren arbeite die Nationalparkverwaltung Šumava zudem intensiv an der Wiederherstellung von Feuchtgebieten und kleinen Wasserläufen. Das laufende Life-for-Mires-Projekt, das durch das LIFE-Programm der Europäischen Union gefördert werde, habe es sich zum Ziel gemacht, über 2000 Hektar Feuchtgebiete zu renaturieren. "Das ist in der Tschechischen Republik beispiellos", fügt Starý hinzu. Und auch die Verantwortlichen auf bayerischer Seite blicken in diesem Zusammenhang neidisch zu ihren tschechischen Kollegen. Hier geht Moor-Renaturierung in viel kleineren Schritten voran. Schon bei einigen Hektar wird von einem großen Erfolg gesprochen.
• Vom Eisernen Vorhang zum naturnahen Wandergebiet:
Das Gebiet des Nationalparks Šumava war vor seiner Gründung - sagen wir es mal vorsichtig - nur sehr begrenzt zugängig. Auf fast 60 Prozent des Territoriums lag ein Truppenübungsplatz und die Grenzzone, der sogenannte Eiserne Vorhang. Bewohner wurden umgesiedelt und ganze Dörfer geschleift und ein streng bewachter Todesstreifen mit Minen, Hochspannungsdraht und scharfen Hunden eingerichtet. Nach dem Fall der Grenze im Jahr 1990 fehlte es daher in der Region des heutigen Nationalparks Šumava grundlegend an touristischer Infrastruktur. Es war notwendig, Wanderwege und Radwege zu markieren und Informationszentren zu bauen. Im Laufe von 30 Jahren schuf die Nationalparkverwaltung Šumava auch Besucherzentren und Umweltbildungszentren, deren Unterrichtsprogramme von Tausenden von Kindern genutzt wurden und immer noch werden.
Die Verwaltung hat zudem ein Netzwerk vielfältiger Besucherin-frastruktur geschaffen: Von Aussichtstürmen und Aussichtspunkten über Notübernachtungsplätze, Unterkünfte, Schutzunterstände bis hin zu Hunderten von Bildungsinformationstafeln im Gelände und kilometerlangen Bohlenwegen, die die Touristen zu den schönsten Mooren von Šumava führen. Ein Teil der touristischen Infrastruktur ist auch für behinderte Besucher geeignet.
"Seit dem Bestehen des Nationalparks Šumava haben wir Zehntausende Führungsprogramme angeboten. Zu den Erfolgreichsten zählen sicherlich das Kanufahren auf der Moldau, Führungen in die Wildnis und die Möglichkeit von Schneeschuhwanderungen", sagt Jan Dvořák, Sprecher der Nationalparkverwaltung Šumava. "Damit all diese Dinge funktionieren, war eine breite Unterstützung und Zusammenarbeit mit den Gemeinden des Nationalparks und der Regionalentwicklungsagentur in Stachy erforderlich, die den Nationalpark und das Biosphärenreservat Šumava seit seiner Gründung unterstützt."
Langsam wächst also auf beiden Seiten des Bayerisch-Böhmischen Grenzgebirges zusammen, was eigentlich zusammengehört. Den Tieren und Pflanzen ist es egal, wo sie geschützt leben können. Und auch die vielen Touristen profitieren von der neuen Freiheit. So hat sich beispielsweise der Parkplatz Wistlberg bei Finsterau (Gmd. Mauth) zu einem sehr beliebten Ausgangspunkt für Radtouren in die benachbarte Region Modrava entwickelt.
Neben den beiden Park-Leitern kann sich auch Bayerns Landesvater Markus Söder mit einem großen, grenzüberschreitenden Nationalpark im Herzen Europas anfreunden. Dies hatte der Ministerpräsident im Herbst 2020 beim Festakt "50. Jahre Nationalpark Bayerischer Wald" im Hans-Eisenmann-Haus bei Neuschönau angedeutet.
Beste Aussichten für eine gemeinsame Zukunft also, wenn auch allen bewusst ist: Dieser Weg ist noch lang. Aber hoffentlich nicht mehr ganz so steinig.
• Große Geburtstagsfeier am 17. Juli?
Die Nationalparkverwaltung Šumava bereitet eine Reihe von Sonderprogrammen und Wettbewerben im Zusammenhang mit dem 30. Jubiläum vor. Für die Sommersaison wird eine Sonderausstellung konzipiert, die drei Jahrzehnte des Nationalparks abbildet, und 30 exklusive geführte Wanderungen mit einer Vielzahl von Experten und Kennern vom Nationalpark Šumava werden entwickelt. Es gibt bereits Sondereditionen verschiedener Souvenirs und Kleidungsstücke mit einem Šumava-Motiv in der Produktion oder ein neues Buch, das die 30 Jahre des Šumava-Nationalparks abbildet. Das Highlight soll der Tag des Nationalparks Šumava in Rokyta am 17. Juli werden. Immer vor dem Hintergrund, dass es die Pandemie zulässt. Der Nationalpark Bayerischer Wald kann ein Lied davon singen, wie sich Pläne schnell im Rauch auflösen können. So musste 2020 das im Sommer am Nationalparkzentrum Lusen bei Neuschönau geplante dreitägige Fest der Region wegen Corona ersatzlos gestrichen werden.
• Wichtige Eckdaten:
20. März 1991: Gründung des Nationalparks Šumava.
1992: Neues Natur- und Landschaftsschutzgesetz.
1993: Übertragung staatlicher und militärischer Wälder an die Nationalparkverwaltung Šumava.
1995: Neue Zonierung des Nationalparks Šumava (Reduzierung und Fragmentierung der wertvollsten Ier-Zonen in 135 Inselchen).
1999: Blockade des Holzeinschlags im Urwald Trojmezenský prales, die zur Einstellung des Einschlags in diesem Urwald führte.
2007: Orkan Kyrill und Erweiterung der Zonen ohne Management auf mehr als 23 Prozent des Nationalparks Šumava.
2011: Blockade des Holzeinschlags am Standort Na Ztraceném/Ptačí potok bei Modrava, die dort zur Einstellung des Abholzens führte.
1. Juni 2017: Änderung des Natur- und Landschaftsschutzgesetzes Nr. 114 ist in Kraft getreten, wonach auf überwiegender Fläche eines Nationalparks der Schutz natürlicher Prozesse vorherrschen soll.
1. März 2020: Neue Zonierung des Nationalparks Šumava wurde verabschiedet, circa 28 Prozent Naturzone, rund 23 Prozent naturnahe Zone. Zum Vergleich: der Nationalpark Bayerischer Wald will bis 2027 einen Naturzonen-Anteil von 75 Prozent erreichen.

 


Andreas Nigl

 

 



zurück zur Übersicht
impressum
Pro Nationalpark Freyung-Grafenau . Info-Hotline und Führungsservice . Nationalpark Bayerischer Wald . 0800-0776650
WALDFÜHRER LOGIN
Benutzername:
Passwort: