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Millionenvorhaben Nationalpark: Ein nationales Forschungsprojekt läuft an
15.06.2022 |
Stand 15.06.2022, 20:26 Uhr
![]() Im Einsatz für ein millionenschweres Projekt: Naturschutz-Mitarbeiter Jens
Schlüter (links) und EU-Ranger Nico Daume installieren auf einer der
Forschungsflächen im Nationalpark Bayerischer Wald eine Flugfensterfalle.
-Foto: Nationalpark Bayerischer Wald
Jahrelanges Zittern und Bangen, aber nun ist es fix:
In den Nationalpark Bayerischer Wald werden Millionen investiert, um
herauszufinden, wie sich die Lebensraumvielfalt auf die Artenvielfalt auswirkt. Zweieinhalb Jahre haben sich Professor Jörg Müller vom Lehrstuhl für
Tierökologie und Tropenbiologie der Universität Würzburg und seine Mitstreiter
auf diesen Moment vorbereitet. Nun kam für Müller, der zugleich das Sachgebiet
Naturschutz und Forschung im Nationalpark Bayerischer Wald leitet, die
erlösende Nachricht: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat grünes Licht
für ein millionenschweres Vorhaben gegeben, in dem der älteste Nationalpark
Deutschlands eine der Hauptrollen spielt. Im Fokus dabei steht eine große
Feldstudie, bei der erforscht wird, wie wichtig die Lebensraumvielfalt in
Wäldern für die Artenvielfalt ist.
Mehrere Messpunkte in 22 Waldbeständen Müller und sein Team aus knapp zwei Dutzend internationalen Experten wollen
herausfinden, wie sich eine Erhöhung von räumlicher Heterogenität im Wald
auswirkt. Sprich: Wie bedeutend ist es für die Natur, wenn es auf kleiner
Fläche viele verschiedene Landschaftstypen in direkter Nachbarschaft gibt, etwa
lichte, totholzreiche oder alte Waldareale. Besonders im Blick haben die
Forscher, wie sich diese strukturelle Diversität auf die Vielfalt verschiedenster
Artengruppen vom Boden bis in die Baumkrone niederschlägt.
Dazu wurden in insgesamt 22 Waldbeständen mehrere Messpunkte eingerichtet.
Die Flächen liegen in verschiedensten Klimazonen und Waldbesitzarten. An jedem
Messpunkt werden eine Vielzahl von Messinstrumenten ausgebracht, von Boden-,
Licht- und Flugfensterfallen für Insekten, über Sporensammler für Pilze und
Horchboxen zum Nachweis von Vogelstimmen, bis hin zu Fotofallen zur Erkennung
von Säugetieren. Der Großteil der Gerätschaften wurde im Bayerwald jüngst
bereits installiert. "Kurz gesagt", berichtet Müller, "fahren
wir das volle Programm mit den neuesten automatisierten und
hochstandardisierten Methoden zur Biodiversitätserfassung." Dank der
Förderzusage hat die Forschergruppe nun Planungssicherheit für mindestens die
nächsten vier Jahre.
"Wir machen etwas total Geniales." "Das Projekt hebt die Nationalpark-Forschung auf ein neues Niveau und
macht den Nationalpark zum Schwerpunktforschungsgebiet", freut sich
Müller. "Wir machen dabei etwas total Geniales, was sonst bisher niemand
macht." Unter dem Titel "Verbesserung der strukturellen Vielfalt in
Wäldern zur Verbesserung der Multi-Diversität und Multi-Funktionalität in
Produktionswäldern" werden nicht nur die Randzone des Nationalparks sowie
Waldflächen des Bistums Passau und Privatwald im Bayerischen Wald unter die
Lupe genommen. Mit dabei sind auch der Nationalpark Hunsrück-Hochwald,
Waldflächen im fränkischen Universitätsforstamt Sailershausen, im Saarland und
im Stadtwald Lübeck.
Doch wie kam es zum Projekt? "Ausgangspunkt unserer Forschungen ist
die immer stärker werdende Nutzung der Landschaften durch den Menschen",
erklärt Müller. "Nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im Wald
sind dadurch heute viele Flächen sehr homogen." Die Wälder Mitteleuropas
seien bis auf wenige Ausnahmen meist mittelalt, mitteldicht und dadurch oft
artenarm. Im "Einheitsbrei" fehle es schlicht an der
Lebensraumvielfalt. Für viele Arten gebe es keinen Platz mehr.
Zu den Ausnahmen gehört der Nationalpark Bayerischer Wald. Natürliche
Störungen wie Windwürfe und Borkenkäferbefall verändern die Landschaft hier
seit vielen Jahren. Inzwischen passiert dies auch andernorts in Deutschland.
"Leider sind diese natürlich ablaufenden Prozesse nur selten geeignet, um belastbare
Forschungsergebnisse zu erarbeiten", sagt Müller. "Schließlich geht
die Natur nicht standardisiert überall gleich vor."
Forscher auch aus USA, Kanada und Taiwan Was die Wissenschaftler aus Deutschland, Japan, den USA, den Niederlanden,
Kanada, Tschechien, Taiwan und der Schweiz im mit "BETA-FOR"
abgekürzten Projekt besonders reizt, ist die erstmalig experimentelle
Erforschung der Beta-Diversität. Dabei handelt es sich um den Teil der
Biodiversität, der erst dadurch zustande kommt, weil es verschiedene Arten von
Lebensräumen beziehungsweise verschiedene Stadien der Waldentwicklung in
direkter Nähe zueinander gibt. Kurz gesagt sagt dieser Wert also aus, für wie
viele Arten plantagenartig angelegte Wälder nicht nutzbar sind, weil sie
strukturreiche Landschaften brauchen, um überleben zu können. "Die
Störungsereignisse in der Naturzone des Nationalparks haben hier Pate
gestanden", weiß Müller.
Die neuen Erkenntnisse werden helfen, die Biodiversität in unseren Wäldern
effizienter zu verbessern. Ausgelegt ist das Projekt auf acht Jahre, wobei die
Finanzierung für die erste Hälfte nun gesichert ist. Insgesamt wird mit Kosten
von acht Millionen Euro geplant.
Der Großteil der Feldarbeit findet 2022 und 2023 statt. Ein Teil der
Flächen, unter ihnen zwei Areale im Nationalpark, sollen als
Daueruntersuchungsflächen langfristig erhalten werden. "So können wir auch
relevante Daten in Zusammenhang mit dem Klimawandel und Extremereignissen
sammeln", erklärt Müller.- pnp
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