Die Odyssee der Flussperlmuschel
„Margaritifera margaritifera“,
die „Perlen-Trägerin“, so nennt sie sich mit wissenschaftlich-lateinischem Namen und weist damit in alte Zeiten, in denen sie im Bayerisch-Böhmischen Grenzgebirge noch so zahlreich in Bächen und Flüssen vorkam, dass es hierzulande sogar einen Berufsstand der Perlfischer gab.
Perlfischerei im Bayerischen Wald...
für viele eine eher unwirkliche Vorstellung, und doch war es so.
Wie es war und warum es heute anders ist, darüber gibt uns ein Aufsatz von Dr. Alexander Harsányi aus dem Jahr 1995 interessante Auskunft.
Seine Schrift ist das Resümee aus einer Arbeitstagung zu der sich am 25. Juli 1995 besorgte Muschelfreunde und -experten in Lindbergmühle im Landkreis Regen getroffen hatten.
Dr. Harsányi als damaliger niederbayerischer Fachberater für Fischerei hatte zu dem Treffen eingeladen, um gemeinsam nach Wegen zur Rettung dieses hochbedrohten Kleinods bayerischer Gewässer zu suchen und den rapiden Abwärtstrend der Perlmuschelbestände zu stoppen.
Im Folgenden will ich versuchen, vornehmlich in Anlehnung an diesen umfangreichen Text das Thema in einem kurzen Umriss zu beleuchten (einige in der Zwischenzeit gewonnene neuere Erkenntnisse sind zusätzlich eingeflochten).
„Die Flussperlmuschel - eine aussterbende Tierart“,
so die Überschrift des Artikels und man erfährt bereits in der Einleitung, dass es noch im neunzehnten Jahrhundert Gewässer gab, deren Sohle schwarz von Flussperlmuscheln ausgepflastert war. Eine offensichtlich gute Grundlage für die schon erwähnte, einst florierende bayerische Perlfischerei, die bereits seit dem 15. Jahrhundert in Bayern nachweisbar ist.
Allein zwischen 1814 und 1857 wurden nicht weniger als 158.880 Perlen gewonnen!
Wenn man bedenkt, dass nur ca. jede 1000ste Muschel eine Perle hervorbringt, kann man sich vorstellen, wie reich die Bestände ehemals gewesen sein müssen.
Der heutige Bestandsrückgang von über 90% (!) der ehemaligen Populationen hat seine Ursachen in einer dramatischen Verschlechterung der Gewässerlebensräume.
Erste Beeinträchtigungen der Bestände erfolgten bereits im 19. Jahrhundert durch die Gewässerverbauung und Begradigung für die Holztrift.
Im 20sten Jahrhundert bis heute sind die Chemisierung und Intensivierung von Land- und Forstwirtschaft besonders schädigend wirksam gewesen (auch im Staatsforst war ab ca. den 1960er Jahren intensiver Insektizid- und Herbizideinsatz gegen Borkenkäfer, Rüsselkäfer und die Pflanzungen schädigenden „Forst-Unkräuter“ wie Farne, Bergreitgras u.a. gängige Praxis, da man auch hier dem Zug der Zeit entsprechend der allgemeinen Euphorie frönte, mit Hilfe der chemischen Keule dem „lästigen Ungeziefer“ ein für alle Mal den Garaus machen zu können).
Die Belastung der Gewässer mit anderen Schadstoffeinträgen der verschiedensten Art, die auch zum Rückgang der für die Flussperlmuschel lebensnotwendigen Bachforellenbestände geführt haben, sind weitere Ursachen für die katastrophalen Aussterbevorgänge der Magaritifera-Populationen.
Die Perlfischerei selbst, war, sofern sie sachgemäß durchgeführt wurde, keine oder höchstens eine unwesentliche Beeinträchtigung für die Bestände, da keine Muschel zur Entnahme einer etwa vorhandenen Perle getötet werden musste, sondern unversehrt wieder ins Gewässer zurück gesetzt wurde.
Exzessives Plündern und Zerstören von Muschelbänken auf der Suche nach schnellem Reichtum hat es allerdings ebenso gegeben.
Wie also soll es weitergehen?
Die Biologie der Flussperlmuschel zunächst im Überblick:
Perlmuscheln
· werden bis zu 100 Jahren alt,
· sind mit ca. 20 Jahren geschlechtsreif
· Das Weibchen legt ca. 3- 5 Millionen Eier zunächst innerhalb der eigenen Schale ab
· Das Männchen entlässt seine Spermien ins freie Wasser
· Die Eier werden noch innerhalb der Schale von den mit dem Atemwasser aufgenommenen männlichen Spermien befruchtet
· Weibliche Tiere besitzen die Fähigkeit zur Geschlechtsumwandlung, können also bei „Männermangel“ notfalls ihre eigenen Eier befruchten
· Nach ca. vier Wochen Brutpflege beginnt im Spätsommer die „Odyssee“ der nur ca.0,05 Millimeter großen Larven, sie werden mit dem Atemwasser der Mutter ins freie Wasser ausgestoßen
· Sie müssen nun innerhalb weniger Stunden von einer Bachforelle eingeatmet werden (nur die Bachforelle, nicht die Regenbogenforelle ist als Wirtsfisch geeignet!).
· Haben die Larven den ersten, durchaus energischen Abwehrreaktionen der Forelle widerstanden, klemmen sie sich in den Kiemen des Wirtsfisches fest, und leben fortan bis zu 10 Monate auf dessen Kosten.
· Nur bei passender Wassertemperatur um ca. 15 ° C können sie sich nach dieser „parasitischen Phase“ wieder vom Wirtsfisch lösen (noch umstrittener Sachverhalt!)
· War die Ablösung erfolgreich, dann verschwinden die jetzt fertig ausgebildeten Jung-muscheln im kiesig-sandigen Bodengrund und leben für drei bis zehn Jahre nahezu unauffindbar völlig im Verborgenen
· Erst nach dieser Phase ihrer Entwicklung kommen sie wieder an die Oberfläche ihres heimatlichen Bach- oder Flussbettes und sind nunmehr auch für den weniger geübten Naturfreund als Muscheln zu erkennen.
· Nahrung filtern Flussperlmuscheln aus den wenigen Schwebstoffen im Wasser sauberer Fließgewässer, bilden damit sogar eine sehr massive kalkhaltige Schale aus und sind bei dieser äußerst mageren Kost auch noch in der Lage, länger als ein Menschenalter zu leben. Zu allem Überfluss leistet sich die eine oder andere Muschel auch noch den Luxus einer schimmernden Perle. Eine Kostbarkeit aus Kalk in einem nahezu kalkfreien Lebensraum nährstoffarmer Bayerwaldgewässer...
Diese vielfältigen Besonderheiten der Art haben den Forschern manches Rätsel aufgegeben und viele Fragen ihrer Biologie und Ökologie sind nach wie vor ungeklärt.
Dr. Harsányi vermutet u. a. folgende Zusammenhänge:
Da die Muschel zum Aufbau von Schale und Perle Kalk benötigt, muss dieser auch in der Nahrung enthalten sein. Saure Bayerwaldbäche können eine solche kalkhaltige Nahrung jedoch nicht liefern.
Es müssen also mindestens im Umland der Gewässer pH-Wert-neutrale Böden vorhanden gewesen sein, aus denen die benötigten Substanzen mit dem Sickerwasser dem Gewässer zugeführt werden konnten.
Solche Bodenverhältnisse habe aber erst der Mensch durch Urbarmachung und bäuerliche Landbewirtschaftung, Viehwirtschaft und vor allem durch die traditionelle Wiesenbewässerung seit der ersten dokumentierten Besiedelung der Region entstehen lassen, so Harsányis These, die er mit folgenden Worten erläutert:
„Fasst man die von Biologen Mitteleuropas in den letzten Jahren erforschten Erkenntnisse über diese seltene Tierart zusammen, so kann man ohne Zweifel feststellen, dass die Perlmuschel in unserer Landschaft ein “Kulturfolger“ ist.
In den ursprünglichen beschatteten kühlen Gewässern einer Urwaldregion haben sie mit Sicherheit keine entsprechenden Lebensbedingungen gefunden“
Diese These wird in Fachkreisen höchst kontrovers diskutiert, galt die Perlenträgerin doch bisher immer als absolut „Ur-Waldlerisches Gewächs“!
Dennoch spricht Manches anscheinend auch für diese Betrachtungsweise:
So präsentierte Jaroslav Hruska aus Tschechien in der gleichen Veranstaltung die Ergebnisse seiner Experimente mit einer spektakulär erfolgreichen Jungmuschelaufzucht.
Sein Versuchsaufbau entsprach im Wesentlichen dem Prinzip einer traditionellen bäuerlichen Wässerwiesenanlage mit ebensolchen Nährstoffverhältnissen.
Die ca. 3.000 qm große Versuchsfläche ist von vielen, teilweise nur 10 cm breiten Gräben durchflossen. Im grobkörnigen sandig-kiesigen Grund der Gräben leben ca. 6.000 kontrolliert dort angesiedelte Jungmuscheln mit guten Wachstumsraten.
Des Weiteren gibt es das sogenannte „Mühlgrabenphänomen“. Dieses besteht darin, dass Flussperlmuschelbestände häufig besser in einem aus einem Bach ausgeleiteten Mühlgraben gedeihen als im eigentlichen „natürlich dahinfließenden“ Bach selbst...!??
Fragen über Fragen, und bisher keine wirklich überzeugenden Antworten.
Aber wie auch immer: Auch ohne exaktes Wissen über die genauen Zusammenhänge, über das genaue Wie und Warum, so machen die genannten Erfolge in Tschechien, die mittlerweile auch einige Nachahmer gefunden haben, doch Hoffnung auf zukünftige Fortschritte.
Und auch von außerhalb Bayerns gibt es Positives zu berichten.
So wurde in Norddeutschland mit beispielhaftem finanziellen und ideellen Einsatz das gesamte Einzugsgebiet des niedersächsischen Heide-Flusses Lutter ökologisch saniert. Das erfreuliche Ergebnis ist ein mittlerweile reichlicher Muschelnachwuchs.
Diese Erfolge sind erfreulich, sie dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie bis jetzt nur ganz punktuell, letzte kurz vor dem Erlöschen stehende Restpopulationen retten konnten. Viele weitere Populationen sind schon seit Jahren und Jahrzehnten erloschen; andere stehen heute kurz davor, ohne dass eine wirkliche Aussicht bestünde, in letzter Minute noch rettend eingreifen zu können.
Die Existenz eines Bayerischen Natur- und Kulturdenkmals allerersten Ranges steht in den meisten Gewässern unserer Heimat definitiv vor dem Aus!
Plündern der Schätze, oder Ernten der reichen Gaben ?!
Es stellt sich in diesem Zusammenhang die drängende Frage, ob wir uns weiterhin die bisherige aggressiv-kriegerische Haltung gegenüber der „Feindlichen Natur, deren Schätze ihr gewaltsam entrissen werden müssen“ leisten können, oder ob es zur Erhaltung unserer eigenen Lebensgrundlagen nicht dienlicher ist, schleunigst den fast vergessenen verschwenderisch-nährenden Aspekt der Natur, der immer die eigentliche und erste Voraussetzung allen Lebens gewesen ist, wieder zum Tragen und zur Geltung kommen zu lassen.
Eine respektvolle Haltung und das dazugehörige maßvolle Nehmen wären die Alternativen.
Schaffen wir das, dann kann der Bayerische Wald allerdings wohl wieder zu dem gelobten Land werden, als das er zur Zeit seiner letzten Besiedelungswelle beschrieben wurde:
Eine Landschaft mit sprichwörtlichem Holzreichtum in Wäldern voller Wild und wildem Honig, mit kräuterreichen Bergwiesen, reichen Biber- und Otterbeständen in fischreichen Gewässern, ja sogar mit einem Schatz von überreichen Perlmuschelbänken in den klaren Bächen und Flüssen, kurz, ein Land wo Milch und Honig fließen, ein Land wo nur geerntet werden muss.
Und es besteht durchaus die begründete Hoffnung, dass in den großflächigen Schutzgebieten auf dem „Grünen Dach Europas“ erste Keimzellen für solcherart heilsame Entwicklungen entstehen und dort zukünftig Natur und Mensch gemeinsam wieder vitale Lebensräume und damit auch im besten Sinne lebendige Gewässer entstehen lassen, die der „Perlenträgerin“ und manch anderer bedrohten Art wieder neue Heimstatt in alten Refugien bieten kann.
Hierin liegt eine große Chance, allerdings auch eine große Aufgabe für die hier ansässige einheimische Bevölkerung: die Rolle des Menschen wird hier die des wachsamen dezenten Impulsgebers sein müssen.
Durch jahrhundertelang einseitige und teilweise ausbeuterische Beanspruchung ins Stocken geratene natürliche Prozesse bedürfen heutzutage da und dort durchaus einer Anregung oder einer Hilfestellung um wieder in Gang zu kommen.
Und es muss ständig um geeignete Rahmenbedingungen Sorge getragen werden.
Einfach „von Selbst“ lösen sich unsere heutigen ökologischen Probleme nicht mehr. Die vielfältigen flankierenden „Managementmaßnahmen“ unserer Nationalparkverwaltung zeigen es.
Hierbei das rechte Maß zu finden im „Tun und Lassen“ wird zukünftig eine gefragte Kunst sein.
Dann aber werden die klaren Bäche und die kleinen Flüsse des Waldgebirges wohl auch wieder „freiwillig“ und in verschwenderischer Freigiebigkeit „Perlen zu den Königinnen Danubia und Moldavia“ wandern lassen können.