Arbeitskreis   „Wilde Landschaften“

 

Thomas Zipp und Kollegen,

Klausenweg 3

   94 089 Neureichenau

    Tel.: 08583 / 1847

    mail: thomas.zipp@web.de

 

6. 0ktober 2008

 

Diskussionspapier

 

Neuorientierung im Nationalpark Bayerischer Wald

 

Arbeitskreis „Wilde Landschaften“ fordert Einstellung der Jagd und eröffnet neue Perspektiven für die Region

 


Kritische Töne


Die Einstellung der Jagd im Nationalpark ist schon seit langem überfällig.

Die Entwicklung von einem jagdlich bewirtschafteten Forstbetrieb zu einem Großschutzgebiet, in dem der Prozessschutz als oberstes Ziel gilt, dauert mittlerweile seit 38 Jahren an und ist daher als „Übergangszeit“ nicht mehr zu akzeptieren.

Die Aussage der Nationalparkverwaltung, die Jagd sei bereits auf ca. ¾ der Parkfläche eingestellt und würde nur noch im Randbereich ausgeübt ist irreführend und entspricht nicht den Tatsachen.

Im Gegenteil wird durch die Unterhaltung von vier großen Wintergattern mit attraktivem Futterangebot der gesamte Rotwildbestand aus dem gesamten Nationalparkgebiet Jahr für Jahr ab September gezielt in diese Anlagen und deren Umfeld gelockt, wo dann auch ein Großteil der „Regulierungsmaßnahmen“ (Jagd) stattfindet und durch die Konzentration der Tiere begreiflicherweise auch leicht durchgeführt werden kann.

Diese Vorgehensweise hatte in den Anfangsjahren des Nationalparks ihre guten Gründe und wird deshalb für die Vergangenheit auch nicht grundsätzlich abgelehnt, sie hat sich allerdings schon seit vielen Jahren überlebt und hat heute keine Existenzberechtigung mehr.  

Die zusätzliche Bejagung in besagtem Randbereich des Nationalparks betrifft darüber hinaus neben Rotwild auch noch die beiden anderen Schalenwildarten Rehwild und Schwarzwild (Rehwild derzeit nur im Erweiterungsgebiet), also im Grundsatz den gesamten  insofern, als die Wildbestände bei hoher Schneelage größtenteils aus den „unbejagten Kernzonen“ in die Randbereiche abwandern, wo sie dann eben doch zur Bejagung erreichbar sind. Schalenwildbestand des Parkes

Somit werden die Kernzonen zwar nicht aus jagdlichen Gründen betreten, sehr wohl aber wird der darin vorhandene Wildbestand intensiv bejagt.

Dies ist ein Sachverhalt, der in Hinblick auf die internationale Anerkennung des Nationalparkes Bayerischer Wald sehr zu denken geben sollte.

 


Zeit für einen Paradigmenwechsel !

 

Die Fakten im Detail:


·        die „natürliche“ Wilddichte mitteleuropäischer Landschaften ist nicht bekannt

·        die Festlegung einer bestimmten Wilddichte als „die Natürliche“ ist daher wissenschaftlich nicht zu begründen

·        die Zielgröße von einem Stück Rotwild pro 100 ha ist daher zugunsten von „Natur Natur sein lassen“ ersatzlos zu streichen

·        die Halbjahres-Gatterhaltung des Rotwildes erhält auf Dauer keine Wildtierart, sondern domestiziert sie.

·        Wildtier-Management und Borkenkäferbekämpfung im Randbereich des Nationalparks ist nur unter rechtlichen Gesichtspunkten, nicht aber unter ökologischen Gesichtspunkten ein vergleichbarer Vorgang und dadurch völlig unterschiedlich zu bewerten

·        der klimatisch mit unserer Region vergleichbare Schweizer Nationalpark wird seit seiner Gründung im Jahre 1914 nicht bejagt, hat dem Nahrungsangebot entsprechend hohe und touristisch hochattraktive Wilddichten und kann als Vorbild dienen.

·        vielfältige Erfahrungen aus der Waldweide der vergangenen Jahrhunderte, sowie Erfahrungen aus anderen vergleichbaren Naturlandschaften (Isle Royal; Schweizer Nationalpark) zeigen, dass das Nahrungspotenzial unserer Landschaft für weitaus höhere Tierdichten, als die derzeit geduldeten, ausreicht.

·        auf den derzeit rund 4000 ha großen Borkenkäferflächen ist für das Sommerhalbjahr Nahrung im absoluten Überfluss vorhanden.

·        auch als Wintereinstand wird diese Region für das Wild zunehmend attraktiver, da vielerorts die vorhandene Naturverjüngung bereits über die Schneedecke hinausragt und so für die Wildtiere als – natürliche – Winternahrung erreichbar ist.

·        Die Schneehöhe spielt eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist das vorhandene oder nicht vorhandene Nahrungsangebot. Bei ausreichend vorhandenem Angebot (im Idealfall Weichholzgebüsch) pflügen die Tiere durch jede Schneehöhe.

·        dieser Sachverhalt bedeutet für die Zukunft, dass immer weniger Wild auf Grund von Nahrungsmangel im Winter zur Abwanderung in die Tallagen gezwungen sein wird, die Tierdichte also steigen würde, wollte man nur wirklich „Natur Natur sein lassen“.

·        die offensichtliche Tatsache, dass diverse Bereiche der Borkenkäfer-Flächen vom Wild auch im Sommer kaum aufgesucht werden, hat weniger mit ihrer angeblichen „Unbegehbarkeit“, sondern vielmehr mit dem Umstand zu tun, dass 300 Hirsche auf 24.000 ha einfach nicht überall sein können...

·        die „Angst“ der Tiere vor vielleicht 5-8(?) Luchsen auf 24.000 ha sollte besser auch nicht zur Erklärung dieses „Phänomens“ herangezogen werden 

·        die Sorge vor einer Entmischung und „Verfichtung“ der Wälder bei einseitigem Verbiss der Laubhölzer durch höhere Wildbestände ist unbegründet, sofern die Höhe des Wildbestandes etwa 5 Stück Rotwild pro 100 ha überschreitet, da dann auch der Fichte eine flächige Verjüngung nicht mehr möglich ist

·        wie vielfache Erfahrung zeigt, ist in dynamischen Naturlandschaften mit reichlich vorhandenen Sonderstandorten aber sehr wohl eine punktuelle Verjüngung aller Baumarten auch bei hohem Weidedruck möglich, so dass eine Entwicklung vom ehemals geschlossenen Bergfichtenwald über die derzeitige „Borkenkäferphase“ zu lichten halboffenen und vermutlich artenreicheren Baumbeständen in der Zukunft zu erwarten ist

·        lichter Stand der Bäume bedeutet Widerstandskraft gegen Sturm, Insektenbefall und andere in den kommenden Jahrzehnten wohl zu erwartenden Widrigkeiten

·        neben der zu erwartenden Vitalisierung der ggf. im vollen Licht aufwachsenden Baumbestände wird die signifikante Erhöhung der Artenvielfalt (Fauna u. Flora) in den offenen/halboffenen Bereichen von besonderer Bedeutung sein

·        das Landschaftsbild der derzeitigen Borkenkäferflächen wird sich also unter dem Einfluss hoher Wildbestände auf lange Sicht gesehen vermutlich in das Bild einer großflächigen Schachten/Park-Landschaft mit höchstem ästhetischen Erlebniswert verwandeln

·        Große Wildtiere sind dann tagaktiv-sichtbar und in großen Rudeln ohne störende Gehegezäune von Besuchern erlebbar (ohne Jagddruck ändern die Tiere ihr Verhalten,werden vertrauter und zunehmend tagaktiv. Große Attraktion im Schweizer Nationalpark! www.nationalpark.ch)

·        Für den Luchs entsteht ein hochattraktiver Kernlebensraum mit optimalem Beutetierangebot.

·        Für Aasverwerter, insbesondere für derzeit verstärkt nach Mitteleuropa einfliegende Geierarten steigt durch höhere Wilddichten ebenfalls das potenzielle Nahrungsangebot

·        hochgradig gefährdete Gehölzarten, die nur in Einzelexemplaren im Park vorkommen, wie zum Beispiel die Eibe, sind durch Einzelschutz übergangsweise vor Verbiss schützbar

·        die bisherige Orientierung an vorrangig forstlichen Maßstäben, insbesondere in Bezug auf dieökologische Beurteilung von Gehölz-Verbiss in Naturlandschaften, ist allerdings nicht mehr zeitgemäß und muss einer gesamtökologischen Orientierung weichen


Zu erwartende Probleme


Der oben beschriebene Paradigmenwechsel wird jedoch nicht nur begrüßenswerte neue Entwicklungen, sondern auch Probleme mit sich bringen und zwar vor allem für die an den Nationalpark angrenzenden Landwirte und Waldbauern. Aus dem Park auswandernde Tiere können erhebliche Schäden in mancherlei Form anrichten.

Um dies zu verhindern, muss in erster Linie der Nationalpark selbst ein Lebensraum für das Wild sein, der nur ungern verlassen wird. Wie oben beschrieben, ist die Entwicklung in dieser Richtung in vollem Gange.

Zwingend notwendig sind allerdings zusätzlich diverse Vorkehrungen, wie z. B. die Vermei-dung einer abrupten Einstellung der Fütterung in den Wintergattern. Das Nahrungsangebot muss in einer vermutlich mehrjährigen Übergangszeit fließend zurückgefahren werden, damit sich das Wild langsam auf die neue Situation einstellen und neue Traditionen aufbauen kann.

         ..........die Zeit der Halbjahres-Haustierhaltung ist ja dann vorbei........

 

Diese Vorgehensweise verhindert ein sprunghaftes Ansteigen von Schäden, verhindert vielleicht sogar weitgehend die Entstehung von Schäden überhaupt und erlaubt ein allmähliches Einstellen und flexibles Reagieren auf die neue Situation auch auf Seiten der angrenzenden Landnutzer.

 

In diesem Zusammenhang ist der Vorschlag von Herrn Sinner anlässlich der Tagung des „Arbeitskreis Nationalpark“ am 7. März 2007, aus der bisherigen „Geschlossenen Veranstaltung“ in den jeweiligen Wintergattern zukünftig eine “Offene Veranstaltung“ zu machen, in dem Sinne, dass die Tiere jederzeit hinein, aber auch jederzeit wieder aus den Gattern hinaus können, als sehr positives Signal zu werten.

 

Trotzdem wird es immer Ausreißer geben. Hier ergibt sich ein lohnendes Betätigungsfeld für die private Jägerschaft, womöglich unterstützt durch jagdlich Interessierte (Freiwillige) aus den Reihen der Nationalpark-Bediensteten. Neben der zu erwartenden und sicher willkommenen zusätzlichen Jagdbeute erwächst auch eine zwingende Notwendigkeit, Schäden in den angrenzenden Nutzflächen durch gegebenenfalls scharfe Bejagung auswechselnden Wildes wann immer es notwendig ist, zu verhindern und dem Wild auf die Dauer damit auch deutlich zu zeigen, wo es sich angenehmer lebt. Wild lernt auch!

Darüber hinaus kann allerdings auch eine behördliche Erweiterung der Rotwildlebensräume in Richtung der Privat-Jagdreviere - wie dies bereits von Teilen der Jägerschaft angeregt wurde - in Erwägung gezogen werden. Dadurch würde die Schadensfrage wiederum in einen ganz neuen Zusammenhang mit neuen Perspektiven gestellt.


Ausblick / Vision

 

Die Einstellung der Jagd wird also vielfältige Wirkungen zeitigen. Sie ist jedoch nur ein Anfang auf dem Wege zu einer möglicherweise noch weit umfassenderen Entwicklung. Denkt man großräumiger und in der Zeit voraus, und ist in der Lage, auch unseren tschechischen Nachbar-Nationalpark für Neue Wege zu gewinnen, dann ist - bei einer Gesamtfläche von nunmehr fast 100.000 ha (!) - noch weit mehr möglich.

 

Denn:  Bevor bisher vom Wintersport lebende Gemeinden auf Grund der zu erwartenden klimatischen Veränderungen auf  touristische Verlegenheitslösungen setzen, muss auf die potenziell vorhandenen ökologischen – und auch erlebbaren – echten Highlights aufmerksam gemacht werden:   Seit Jahren schon wandern immer wieder Elche zu - und dann wandern sie wieder ab... . In Folge oben beschriebener ökologischer Neuorientierung würden sich die Lebensraumbedingungen auch für diese Art vermutlich erheblich verbessern. Elche würden daher zukünftig gute Gründe haben, uns nicht nur sporadisch zu besuchen, sondern auch einmal hier zu bleiben.

 

Das Gleiche gilt für den Wolf.  Das Gleiche gilt auch für den Bären.

 

Möglicherweise kann es dann im „Grünen Herzen Europas“ sogar wieder Lebensraum für freilebende Wisente geben, ...möglichst bevor dem Bayerischen Wald das Naherholungs-gebiet des Ruhrgebietes diesbezüglich den Rang abläuft... (im dortigen Rothaargebirge gibt es bereits ein u.a. touristisch begründetes Wiederansiedlungs-Projekt für Wisente).

 

Alle die genannten Tierarten (auch Beutegreifer!) wie in anderen Großschutzgebieten der Welt tagaktiv-sichtbar, also erlebbar in traumhafter bayerisch-böhmischer „Schachtenlandschaft“ in der Region zu haben und Besuchern präsentieren zu können, welches Waldler-/Verkehrsamtsleiterherz würde da nicht höher schlagen...? 

 

Warum sollte man „Yellowstone“ nicht Konkurrenz machen können?

 

Sollte man mit solchen Perspektiven dann gar noch die Bayerischen Staatsforsten interessieren können, und nähme die Hochlagenwälder in Richtung „Dreiländereck“ mit in den Blick, dann könnte das Grüne Herz Europas in wahrhaft europäischer Dimension

 

mit einer echten Vision in die Zukunft schauen.

 

Bevor diese Entwicklungen aber ihre ausstrahlenden Beispielwirkungen in alle Richtungen  entfalten können, muss der erste Schritt getan werden und der besteht in der umgehenden Beendigung der bisherigen jagdlichen Aktivitäten im Nationalpark.


 

verfasst anlässlich der  „Hirschtage 2008“  im Nationalpark Bayerischer Wald

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