Rede zum 10jährigen Geburtstag von Pro-Nationalpark Mauth-Grafenau am 03.04.09     

 

 

Sehr verehrte Festgäste, verehrter Jubilar, meine Damen und Herren, es ist Geburtstag und ich fange einfach dort an, wo die Pro-Nationalpark-Gruppe das Licht dieser Waldwelt erblickt hat, also in 1997, einem turbulenten Jahr: Eine neue Verordnung tritt in Kraft, die Erweiterung wird heftig diskutiert und beschlossen, Kompromisse und Zugeständnisse werden abverlangt, die Gegner reden von Waldzerstörung und Heimatverlust, ihre Klage wird vom Bayerischen Verwaltungsgericht abgewiesen, der Käfer solle bekämpft werden, überall.

 

Und die Befürworter des Parks, also sie und ich, werden als Menschen ohne Augenmaß und ohne Fingerspitzengefühl charakterisiert, ohne auch nur eine Spur des gesunden Menschenverstandes.

 

Typisch für die Qualität der Kommunikation und Interpretation ist folgendes Instrumentarium: Sind sie für Heimatzerstörung? JA oder NEIN? Sind sie für das Waldsterben? JA oder NEIN? In beiden Fällen würden sie NEIN ankreuzen, und schon sind sie ein Gegner des Nationalparks und in der Defensive.

 

Um die gewünschten Antworten zu bekommen, nennen sie die Aktion „Wald in Not – Stoppt den Borkenkäfer“, JA oder NEIN? Die Fragebogen legen sie an gewogenen Stellen aus und begleiten ihn mit denunzierenden Leserbriefen und Artikeln. Dann wird eingesammelt, addiert, und das gemachte Ergebnis stolz bekannt gegeben: Rund 13000 Unterschriften hat so die Junge Union Freyung-Grafenau gesammelt, 98 % sind dafür, den Wald zu retten.

 

Ministerpräsident Edmund Stoiber lächelt bei der Übergabe, aber wie empfindet er, wenn seine Parteifreunde sein Projekt zu kippen versuchen? Denkt er, der Politprofi an die 50 oder 60.000 Landkreisbewohner, die nicht unterschrieben haben.

 

Das ist am 22.10.1997 in St. Oswald so geschehen, Stoiber referiert und kämpft lange für das Projekt Nationalpark, die Kommunalpolitiker kämpfen nicht, reden aber auch lange, lavierend, sie wollen den Park, aber einen anderen, die altbekannten Stichworte, Schlagworte, fallen: Heimat, Arbeitsplätze, Tourismus, immer wieder „Käfer“, Akzeptanz, Aussperrungen.

 

Köck Max und ich sitzen nebeneinander an jenem 22.10. und melden uns Finger schnipsend wie Schuljungen, hin- und herrutschend, sprachlos gemacht, weit an den Rand gedrängt von jenen, die zugleich fordern, doch auf die Bevölkerung zu hören, auf die Betroffenen. Und er wird erhört, Max Köck kann sein Statement pro Nationalpark halten, schnell, er packt alles hinein, ist prägnant und perfekt. Ein Gegner erstaunt: „Wer sann denn de?“

 

Aber die wirklich Betroffenen sind ausgeschlossen, also fragen wir die Fichten am Simandlruck, in der Gehegezone, am Rachelsee. Was erzählen die? Dass sie keine Angst mehr haben vor der Axt im Walde, dass sie sich über die lauten, bunten, vielen Besucher wundern und die Fragen: Hey, Fichte, wie viel Festmeter bist Du?

 

Dann wird es plötzlich dunkel, es summt, es dröhnt, so weit das Ohr hört und das Auge reicht, Borkenkäfer, beruhigen die Fichten, sie fliegen als mächtige schwarze Wolke, immer montags nach Mittelfranken, über den Arber, seit Jahren?

 

Das bestätigen auch die Leserbriefe, seit Jahren, die ganz andere Kalamität, die aber schwärmt täglich, immer zum Frühstück, sie befällt die Köpfe, die Meinungen, sie zerstört die Würde der Sprachkultur und der Fakten und die Versöhnlichkeit durch härteste Wortwahl. Wie klug ist der „gesunde Menschenverstand“?

 

Von diesem Hirnkäfer kennen wir außer seiner Effizienz wenig, er ist also ideal für die ganz düsteren Prophezeiungen. Ist er überhaupt mobil? Oder ist er stationär? Warum soll er dahin fliegen, wo er schon ist, sich mit fremder Umgebung, mit feindlicher Population, mit unfreundlichen Artgenossen, rumärgern, hier sind doch noch viele Fichten?

 

Jahrzehnte lang galt die Förster-Regel, wonach er 100, höchstens 200 Meter wirksam fliegt. Jetzt wird ihm, dem Winzling, die Leistungsfähigkeit einer Brieftaube und der Hunger eines Harvesters unterstellt, Dabei ist kein Monitoring bekannt, kein Halsbandsender, keine Telemetrie-Studie und nie ist jemand mit geflogen.

 

Wer sind also jene, die alles besser wissen und die Stimmung diktieren? Die realen Bilder der Silberfichten sind dramatisch, zweifelsfrei, aber wofür gibt es hunderte von Experten, Fachgremien, Studien, Statistiken und ein drittes Borkenkäfer-Symposium? Vereinfacht und eindrucksvoll hilft der ganz persönliche unkomplizierte Augenschein.

 

Der Konflikt ist seit 1997 mehrdimensional, zu Regierung, Kommunaler Politik, Gegner, Naturschutzverbänden, Touristikern kommen nun Park-Befürworter, auch das noch. Hier, genau hier, vor über gut zehn Jahren, fast zu spät, haben sie sich die Augen gerieben, sich gegründet, viele der ersten Stunde sind heute hier, haben in Veranstaltungen und Veröffentlichungen das längst fällige Gegengewicht kreiert.

 

Dabei wollen alle Genannten das Gleiche, den schönen Wald. Was aber ist „schön“? Jetzt sind wir kulturell, also kompliziert, unkonkret, definitionspflichtig. Vielleicht ist eine Fragebogen-Aktion angebracht, denn die Mehrheit hat doch recht, oder? Wer aber ist Mehrheit, die Lindberger, auch die Mauther, warum nicht die Waldkirchner und Viechtacher, gar die Regensburger?

 

Und die Politik muss das Unkonkrete umsetzen. Die Euro-Einführung und die Wiedervereinigung waren konkrete Vorgänge, zügig abzuwickeln. Aber Naturschutz, im Bayerischen Wald, auf drei Promille der Landesfläche, das ist offenbar ein enormer Kraftakt für lokale Politiker. Verständlich, dass sie lavieren, skeptisch bleiben, Kompromisse suchen und umstoßen, sich sehr besorgt geben, den Konflikt auch nutzen.

 

Wenigstens unsere Fichten wollen mehr Durchblick und besuchen ihren Vormund, den Basiswaldler, unten im Tal. Und erschrecken. Die wohnen gar nicht in Holzhütten, die feldarbeiten überhaupt nicht mit Pferden, die flunkern uns was vor von Heimat und Tradition und sind ganz profane Autoshampoonierer, Dorfzerschönerer und Heckenbrenner. Überall haben sie schmucke Verkehrsinseln, schicke Kurparks, Yukka-Palmen beim Rathaus, Lüftlmalereien am Fleischpflanzerl-Point, grinsende Gartenzwerge im Rasenstück und das Tourist-Eckerl bewirbt die zehnte Qualitätsoffensive.

 

Jawohl, die Gegner haben recht, die Heimat stirbt. Aber im Dorf, im Kopf. Die leider so genannten „Totholzflächen“ sind harmlos dagegen, sind voller Leben, für jene, die nicht wegschauen müssen, die keinen Sündenbork brauchen.

 

Dabei prägt der Nationalpark mehr als jedes andere Projekt die Außenwirkung unserer Region, keines hat mehr Besucher, mehr Fernsehteams und Journalisten, keines mehr internationale Delegationen, nirgends sind mehr Tagungen, keines fördert unser Image so anspruchsvoll und nachhaltig, keines reicht so weit in Vergangenheit und zugleich in die Zukunft. Der Park ist kein Event, er ist Identität, und keines wird so dauerhaft verkannt, so oberflächlich zerredet und so folgenlos verleumdet.

 

Die Pro-Gruppen stellen seit 1997/98 zunehmend eine neue Qualität, dar. Bürger stehen organisiert dem Park bei, gewähren ihm Zukunft, starten unterstützenden Pressemitteilungen und Führungen, sind Diskussionsgegengewichte und überrascht vom Zuspruch aus der so genannten schweigenden Mehrheit. Ihre ProGruppe rückt zurecht, unspektakulär, unmerklich, unaufhörlich, meist in kleinen Gesprächen im Bekanntenkreis, im Büro, im Verein, auf der Straße, am Stammtisch, auch mit Großaktionen wie am Reschbach.

 

Der Park ist ein kulturelles Projekt, ein kommunikatives, ein politisches, er braucht Begeisterung, nein, Akzeptanz, nein, schon Nicht-Ablehnung genügt.

 

Aber Meinungen verjüngen sich sehr langsam. Nach über 40 Jahren wird der Park noch zu häufig in Frage gestellt, zuletzt von einer staatstragenden Partei, die eine Fläche ohne Leben, groß wie der Starnberger See, und ein totales Betretungsverbot erkennt und das leserbrieflich und medienwirksam schwärmen lässt. Wieder lässt die Politik die langfristige Planbarkeit vermissen, die Zuverlässigkeit nach Festlegungen, die Stetigkeit, die ich, die wir Bürger, von ihr erwarten.

 

Wieder schwankt sie zwischen Einflüssen, Anträgen und Kompromisswünschen, wieder kauen die Naturschützer den saueren Apfel. Selbst wenn die zuständigen Gremien beschlossen, das Verwaltungsgericht entschieden und das Ministerium angehört und festgelegt hat, bleibt das wirkungslos bei vielen, auch bei einzelnen Mandatsträgern, wird Gesprächsverweigerung.

 

Für eine Pro-Gruppe ist es nicht leicht, keinesfalls anfangs, sich trotz Beschimpfungen und Verunsicherungen für das Großprojekt einzusetzen, aber vielleicht funktioniert Heimat erst so. Dabei ist noch so viel zu unterstützen, das vorne liegt, etwa die Strukturmaßnahmen im Umfeld des Parks, im Vorfeld, Verkehr, Tierwanderungen, sind Aspekte, die europäische Biosphäre mit Sumava und Mühlviertel und den Dreisessel als Naturzone, interessanten Bildungs- und Erholungskonzepte.

 

Das ist der Appell an sie am zehnten Geburtstag, verpackt als Gratulation, eine auch weiterhin so gute und große Unterstützung zu praktizieren. Wildnis und Heimat sind zu widersprüchlich und ein Nationalpark ist deshalb nie gesichert, ist immer von Mehrheiten abhängig, obwohl oder weil es um die Lebensgrundlagen geht, um Wasser, Luft, biologisch Vielfalt, Regenerationsräume, Klima. Und es geht auch um eine selbstbewusste Regionalkultur, nicht nur die Natur hat eine Würde.

 

Was ist nach 40 Jahren Nationalpark, nach über 14 Jahren Erweiterungsdiskussion, erreicht? Im Altpark relativ viel, die Akzeptanz scheint wie die Verjüngung stabil zu sein, sie wird auf rund 70 Prozent geschätzt.

 

Im Neupark wabern, als hätte sich seit 1997 nichts geänaert, noch immer die Emotionen, Eitelkeiten und Egoismen. Aktuell ist eine Pro-Gruppe gegründet worden, die neue Verordnung tritt in Kraft, die Erweiterung wird diskutiert, Kompromisse und Zugeständnisse werden abverlangt, die Gegner reden von Waldzerstörung und Heimatverlust, ihre Klage wird vom Bayerischen Verwaltungsgericht abgewiesen, der Käfer solle bekämpft werden, überall.

 

Und die Befürworter des Parks werden wieder als fehlgeleitet, ideologisiert und schizophren betitelt. Es ist immer noch festgefahren, verhärtet. Aber, sagt eine wissenschaftliche Untersuchung, sicher nicht im JU-Stil, auch im Erweiterungsteil steigen die Akzeptanzwerte deutlich auf über 50 Prozent.

 

Wenn sie als Pro-Gruppe ein noch besseres Ergebnis zum Gesamtpark wollen, entwickeln sie einen Fragebogen, die Vorlage ist bekannt, naja, einmal. Wollen sie einen europäisch einmaligen Wald, JA oder NEIN? Wollen sie sauberes Trinkwasser, JA oder NEIN? Sie und die Staatsregierung und die Parkverwaltung wären glücklich über die mindestens 98 Prozent Zustimmung. Aber es geht um mehr, um eine neue Wertekultur, eine nicht länger rückwärtsgewandte, eine zunehmend international orientierte, für die steht der Park exemplarisch. Denn, da stimmen sie mir doch zu: Der Park ist ein tolles Projekt, JA … oder NEIN?

 

Ich muss jetzt schnell enden, es summt schon wieder so verdächtig. Ich wünsche Ihnen weitere zehn Jahre erfolgreiche Pro-Park-Arbeit und dann wünsche ich Ihnen, dass dann der Park angekommen ist, dass er selbstverständlich und unverzichtbar geworden ist, dass noch mehr bestätigt ist, dass unser Vertrauen in die Natur richtig ist. Bestimmt erkennen wir, irgendwann in einer Rückschau, auch die Aufgeblasenheit und Verbissenheit der aktuellen Aufregung.

 

Es ist also zwiespältig, dem Jubilar ein langes Leben zu wünschen und damit die Beständigkeit des Konflikts zu unterstellen. Ich wünsche trotzdem ein langes Leben, denn die Aufgaben werden nie enden, siehe oben, gerade für eine Vermittlergruppe zwischen globalen Ansprüchen und heimatlichen Befindlichkeiten.

 

Die wichtigste Aufgabe scheint mir aktuell in der Entspannung zu liegen, im Brückenbauen. Da kann der vermeintliche Gesichtsverlust Einzelner auch als Erkenntnisgewinn, als die Anerkennung von demokratisch getroffenen Entscheidungen, kommentiert werden. Vielleicht ist der 40ste Geburtstag des Parks im kommenden Jahr der Anlass zum Handschlag. Denn ein richtiger Nationalpark braucht Ruhe, er braucht Größe und vor allem braucht er Freunde. Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit, leider muss ich enden, es ist Freitagnachmittag, es wird gleich finster, die Käfer kommen aus Mittelfranken zurück.

 

Vielen Dank.

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