Eine Wanderung vom Rachel zum Lusen

von Waldführer Heinrich Vierlinger

 

Der neue Baumwipfelpfad im Nationalpark Bayerischer Wald bei Neuschönau ist momentan der große “Renner“ und der absolute Besuchermagnet. Bei einigermaßen guter Sicht lassen sich z.B.vom Turm aus 44 m Höhe die Nationalparkwälder des Rachel-Lusengebietes hervorragend aus der Ferne betrachten. Begeisterung über das gelungene Bauwerk verspürt man als Waldführer wenn man oben die Fragen der Besucher beantwortet, aber auch bohrende Fragen, Zweifel auch Kritik hört man,vor allem am Borkenkäfermanagment.

Vieles  kann dabei mit unseren Erklärungen erläutert werden, und die Gäste sind dankbar und freuen sich über die Aufklärung die sie bekommen, ich rate dabei allen, wenn es sich auch nur irgendwie einrichten lässt, zu einer Wanderung, zum persönlichen Augenschein, zum eigenen Erleben, den unsere Formel „Natur, Natur sein lassen“ ist so einfach dahingesprochen zu abstrakt, dass muss man vor Ort erwandern, erspüren, erriechen.

Um es gleich vorweg zu nehmen, diese Wanderung ist wie ein Lehrbuch zum Thema „Natur, Natur sein lassen“. In einer beeindruckenden Dynamik hat sich hier auf weiten Strecken,vor allem je näher man in Richtung Lusen kommt, Wildnis mit einer unglaublichen Vielfalt entwickelt. Hier wird einem  sehr schnell und anschaulich bewusst, dass  Natur ohne lenkende Eingriffe des Menschen  wunderbar zurecht kommt und eine Waldwildnis hervorzaubert, wie sie in den mitteleuropäischen Wäldern in dieser Ausdehnung nicht mehr zu finden ist. Der nachfolgende  Spruch eines der größten Denker des Mittelalters -Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153) - kommt einem hier noch stärker ins Bewusstsein als an manch anderer Stelle im Nationalpark:

 

Glaube mir, denn ich habe es erfahren,

du wirst mehr in den Wäldern finden

als in den Büchern.

Bäume und Steine

werden dich lehren,

was du von keinem Lehrmeister hörst.

 

Aber nun zur Wanderung: Der Weg führt vom Gfällparkplatz (960 m) über das Waldschmidthaus (1360 m) – Gr. Rachel(1453 m) – Rachelkapelle - Rachelsee (1071 m) – Felsenkanzel (1100 m) – Teufelsloch (1100 m)  zum Lusen (1373 m). Die gesamte Wegstrecke beträgt ca.20 km, die dabei zu bewältigenden Höhenmeter – nur Anstiege - betragen rund 800 m.

Wenngleich die Waldverjüngung am Rachel im Vergleich zum Lusen noch deutlich hinterherhinkt – in diesen extrem kalten Hochlagen braucht es einfach  mehr Zeit, hier regiert der Mangel an Nährstoffen und Wärme – so ist auch schon jetzt an vielen Stellen, vor allem um Baumstümpfe, ein überlebensfähiger Fichtenjungwuchs zu sehen. Nicht vergessen sollte man dabei auch den zeitlich wesentlich späteren Befall der Rachelwälder durch den Borkenkäfer als am Lusen

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Schon am Südabhang des Rachels aber, wenige hundert Meter unterhalb des Gipfels, an den seitlichen Hängen des Kars,dort wo es auch schon wieder spürbar wärmer ist, hat Verjüngung bereits mit voller Dynamik eingesetzt.

Neuer_Wald.jpg

Im weiteren Verlauf des Weges in Richtung Lusen greift dann bereits eine Waldwildnis Platz, wie sie besser und schöner nicht sein könnte. Hierher passen dann die Sätze des  großen Kenners und Heimatforschers des Bayerischen Waldes Maximilian Schmidt,genannt Waldschmidt (1832-1919,nach ihm ist auch das Schutzhaus am Rachel benannt),der in dieser Gegend um die Wende vom 19.zum 20igsten Jahrhundert noch immer urwaldartige Waldstrukturen beschreibt und uns schriftlich folgende Beobachtungen und Gefühle hinterlassen hat:

„So etwas muss man selbst sehen,

 es lässt sich nur schwer schildern.

Wenn man plötzlich hierher in den Urwald gelangt,

wo der Wald sich selbst überlassen bleibt,

wo keine Menschenseele eingegriffen hat,

 so ist man im ersten Augenblick nicht gerade entzückt.

 Nach und Nach überkommt einem doch ein heiliges Staunen

 über das Leben und Weben,Aufbauen und Zertören der Natur.

Hier scheint ein Leichengarten von Gefallenen,Vermoderten zu sein,

dort stehen riesige Tannen mit langen grauen Moosbärten,

gerippeähnliche,von der Rinde entblößte Stämme stehen zwischen Felsblöcken,

die mit allem möglichem Gestrüpp umwachsen sind,

hier liegt ein entwurzelter Baum,der im Sturze andere mit zu Boden schlug.

Dann wechseln wundervolle Gruppen von Nadel-und Laubholz,

Buchen und Ahorn und Eschen mit fast haushoch übereinanderliegenden,

durch Windbrüche entwurzelten Bäumen.

Hier ist es nicht so still wie im Hochwald.

Man vernimmt fortwährend ein Knistern,

ein Zusammenbrechen,ein Abbröckeln von Rinde,ein fallender Zapfen.

 Es arbeitet die Natur.

Sie zeigt uns Leben und Tod,Werden und Vergehen.

Wie fühlt man sich da beim Anstarren all’ dieser Größe so winzig,

so klein,so gar nichts,man schaut nur und schweigt“

 

Ja, hier darf Wald wieder wild und auch alt werden und vermodern, Grundvoraussetzung für das Vorhandensein fast aller Kleinstlebewesen wie Käfer usw. Vom Fachgebiet Forschung des Nationalparks betriebenes Monitoring beweist einen zunehmenden Artenreichtum von ungeahnter Vielfalt. Die natürlichen Gegenspieler der Borkenkäfer, Fressfeinde, wie Vögel (Spechte) räuberische Insekten(Prädatoren),Schmarozer (Parasitoide) und Kranksheitserreger (Pathogene) brauchen dieses Alt – und Totholz. Nie oder kaum vorher gesehene Pilze und Flechten finden sich wieder ein und ich darf an die Erkenntnis erinnern:

 

Der Wald braucht Pilze;ca.80% aller Landpflanzen,darunter alle Bäume,sind von Pilzen abhängig.

 

Diese Wanderung ist nach meiner festen Überzeugung eigentlich ein Muss, und jeder der sie gemacht hat, wird der von mir  eingefangenen Stellungnahme eines befreundeten Paares,das mit mir im September diese Wanderung gemacht hat,  zustimmen und sicher auch unterschreiben:

 

„Trotz schlechten Wetters und unablässigen Regens gingen wir vom Gfällparkplatz über den Rachel zum Lusen. Kein Mensch außer uns war unterwegs. Die Stimmung war trotzdem prächtig. Das lag an der beeindruckenden Natur. Auf jedem Meter wurde deutlich, der alte Wald stirbt, aber viel neues kommt nach. Die jungen Bäume nutzen die Nährstoffe der modernden alten Stämme. Eine Erlebniswanderung, die wir nicht vergessen werden.“

 

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